[Ö3-Disco] [Seinerzeit]

Samstagabend am Land - Was tun?

Kolumne für Soviel Nr.1 (1995), überarbeitet

Es gibt zwei Arten von Diskotheken: Discos und Landdiscos. Vom Prinzip her unterscheiden sie sich kaum. Doch betrachtet man die Details und das jeweilige Umfeld, tun sich Abgründe auf.

Die urbanen Menschen, die dieses Blatt lesen, frequentieren mit hoher Wahrscheinlichkeit Lokalitäten wie Monte, U4, Nachtwerk, Volksgarten, Titanic. In manchen Landregionen gibt es sowas überhaupt nicht - man findet dort ganz offensichtlich etwas anderes shmoov. Eine andere Musik, eine andere Mode, andere Frisuren. Viele Städter denken sich von den Jugendlichen am Land, sie möchten in Wirklichkeit das Stadtleben nachmachen und schafften es nur nicht. Und wahrscheinlich denkt man das am Land auch von insbesondere den Wienern. So kann es aber nicht sein. Es sind zwei verschiedene Stile. Und wo die aufeinandertreffen, spüns Granada. So zum Beispiel in der Ö3-Disco am Semmering.

Die Ö3-Disco ist so ein Kapitel für sich. Ö3 an sich bürgt ja nicht gerade für exquisitestes Amüsement - nicht wegen seiner Musik und schon gar nicht wegen der köstlichen Bonmots seiner Moderatoren. Manche der Moderatoren sind da eine Ausnahme (hier fällt mir Harry Raithofer ein), und so werden sie auch stets aufgeputzt und auf Provinztournee geschickt.

Um meine Vorurteile über Ö3 und Landdiscos bestätigt zu bekommen - und weil sonst nichts los war - betrat ich am 29.12.1995 mit Freunden die Ö3-Disco am Semmering. Es war 23.00, als ich am Schild "Die Halle darf nicht mit Straßenschuhen betreten werden" vorbei in den Dorfturnsaal schritt. Da wußte ich noch nicht, daß die Gaudi bereits um Mitternacht aus sein würde.
Gleißend helles Licht, wie man es in Wiener Lokalen gar nicht mehr kennt, beleidigte die Augen, und typische Ö3-Musik die Ohren. Überall standen Heurigenklapptische. Am Hallenrand befanden sich Schanken, und ganz rechts hinten im Eck war eine Bühne aufgebaut. Auf dieser Bühne stand ein kleines Podest mit CD-Spielern und Mischpult, und auf dem Podest prangte "Ö3 - Harry Raithofer". Von Harry Raithofer war allerdings keine Spur mehr; lediglich zwei baseballbekappte Jugendliche nahmen sich gegenseitig CDs weg und bugsierten hin und wieder eine in den CD-Spieler. Ich nahm an einem der großteils verwaisten Klapptische Platz und beobachtete eine Weile die 12- bis 16jährigen, die sich redlich bemühten, sich zur Musik wegzushaken. Irgendwann endete die Ö3-Musik, und es kam eine angespannte Stille. Was nun? Erbarmungslose Antwort: Der Zillertaler Hochzeitsmarsch in Technoversion. Soviel Bier konnte ich in der mir verbleibenden Zeit gar nicht trinken, als daß ich den Abend noch retten hätte können. Um halb zwölf verkündete der DJ den Beginn der "Zielgerade", dann kam noch der Earth Song (hm...), und dann war Sense.

Zuvor waren mir die vielen Burschen aufgefallen, die wie kubanische Rebellen aussahen. Dort, das war doch Che Guevara ... ja, die Haare, ganz genauso ... und da drüben! Nein, sowas! Fidel Castro persönlich! Stimmt alles! Die Uniform, die Militärkappe, der Bart, die Hand, die diesen nervös durchstreift - nur warum haben Che Guevara und Fidel Castro denn über ihren Uniformjacken orangefarbene Müllmanngilets an? Da drehte sich Christian zu mir um: "Brennen darf's heut nicht. Die sind nämlich alle von der Freiwilligen Feuerwehr." Also doch nicht Castro. Und Guevara ist ja schon tot, wie konnte ich's vergessen.

Um viertel eins wurden wir rausgeschmissen, gingen frustriert schlafen, und am nächsten Tag suchten wir die Disco "Seinerzeit" auf. Die liegt direkt an der Semmering-Schnellstraße, ist so groß wie eine durchschnittliche Karl Marx Hof-Wohnung und sehr düster - beinah städtisch - gestylt. Die Tanzfläche (2 m²) gemahnt an das Innere eines 70er Jahre-Flippers, sodaß man Angst hat, auf ihr von einer Kugel überrollt zu werden. Die hängt über einem und dreht sich und glitzert bedrohlich. Der "DJ" spielte 70er Jahre-Hits, aber natürlich hin und wieder auch etwas aus den 60er Jahren. Meistens legte er ABBA auf, dann einmal Boney M, und auch der Deutsche Schlager kam nicht zu kurz. Als die 70er Jahre-Eskapade beendet war, ging er zu Tony Wegas & Co. über, zwischen den Liedern immer beteuernd: "Jajaja, ihr seid ein super Publikum; ein Applaus von mir an euch!" Dann klatschte er. Die Angesprochenen nicht. Zwei Lieder nach "Adiós María, lo siento mucho, es tut mir so leid, aber ich muß gehen" verabschiedeten sich allmählich die Gäste, und obwohl die Wirtin wirklich nett war, schlossen Christian und ich uns an.

Samstagabend, ein Tag vor Silvester, da muß in einer 5000 Einwohner-Gemeinde doch noch was los sein, dachten wir sodann, und fuhren in den nächsten größeren Ort. Nach zehnminütigem Umherirren in der Fußgängerzone trafen wir einen Eingeborenen und fragten: "Tschuldige, wo is denn da noch was los?" Er verstand nicht und legte die Stirn in Falten. "Disco oder so ..." erklärten wir die Frage. Dann lachte er: "Disco?! Naa ... Da gibt's ka Disco. Aber links oben ums Eck is ein Beisl." In dem landeten wir dann auch, tranken ein Bier, sahen der Gesellschaft beim Auseinandergehen zu und begaben uns um halb eins zu Bett.

Wir hätten ja gleich zum Weggehen nach Wien fahren können, vom Semmering ist es ohnehin nur eine Stunde. Aber nachher ist man immer gescheiter.

Anmerkung vom Februar 1997: Ich war wieder dort, und es ist sogar noch schlimmer. Das absolute Kuriosum ist das Tanzfassl. Dort bekommt man erschreckend viele Tohuwabohu-Lieder zu hören, nur das "Aus!!" funktioniert nicht. Am Samstag gibt's Tischtelefon und Tanzschulmusik. Im Seinerzeit, wo die Wirtin noch immer wirklich sehr nett ist, spielt man heute Macarena auf Deutsch.
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