Kolumne für Soviel 12/96

Die Weihnachtsmann-Mafia

Wien-Zwischenbrücken, Montag, 4.05 morgens. Vermummte Osterhasen verladen im Hinterhof einer Tankstelle bei beißender Kälte "heiße Ware": Weihnachtsgeschenke. Einer der Hasen schiebt Wache, überblickt vom Dach der Autowaschanlage aus weite Teile des Bezirks. Eines sieht er jedoch nicht: den Koloniakübel, der sich aus Nordnordost langsam nähert. Und ohne, daß die kleine Gruppe der Partisanen überhaupt etwas gemerkt hätte, passiert es: Der Deckel des Kübels wird heruntergelassen, und aus drei Gewehrläufen hagelt es Mistelknödel und Aschantinüsse. Eine Minute dauert das grausame Spiel an, schließlich hängen die Hasen unbrauchbar herum; ihre Ware ist zerstört und wieder ein Widerstandsnest ausgelöscht.

Wer es ist, der Paris, Rom, London, Sievering, Moskau, Berlin, Wien, Europa, weite Teile der Äquatorstaaten, die britischen Kronkolonien und Zapatistan unter seiner Gewaltherrschaft hält, weiß bereits jeder: Das gigantische Weihnachtsmann-Syndikat. Der klassische Vergleich mit dem Kraken ist hier so treffend wie kaum je zuvor: Unzählige Spitzel ersticken jeglichen Widerstand anderer Gruppen meist schon im Keim. Besagte Osterhasen, der Christkindlclan, Gabengans Gurkoff, die Wunderwurst, das Weihnachtsmeerschwein, das Weihnachtspferd Ignaz und die Brigaden des Wildhuhns erfreuen nur mehr wenige Kinder.

Begonnen hat alles vor einigen Dutzend Jahrzehnten - natürlich - in den USA. Das Land war früher streng wunderwurstgläubig. Millionen von Kindern erwarteten jeden Weihnachtsabend das fröhliche Hupen einer Wurst auf vier Rädern, die, wenn sie dawar, ihre Ladeluke öffnete und Geschenke ausspuckte. Doch die Zeiten sind vorbei. Der junge gefinkelte Unternehmer Sam Claus schlug die schiefe Bahn ein, entwarf in seiner Garage das berüchtigte Weihnachtsmann-Gewand (auf den ersten Zeichnungen noch in gelb und mit Spitzhut), heckte die einfache, aber genial effiziente Verteilungsorganisation aus, und begann zielstrebig, die Welt zu umspannen. Dabei war ihm jedes Mittel recht. Eine beliebte Vorgangsweise ist nach wie vor, die Radiosender eines Landes aufzukaufen und jedes Jahr ab Mitte November amerikanische Weihnachtslieder spielen zu lassen, in Nacht-und-Nebel-Aktionen bereits im September (!) Weihnachtsdekorationen in den Städten anzubringen - der Adventkalender auf dem Graben war heuer ein besonderer Coup - sowie Unternehmen unter Druck zu setzen, ihre Anzeigen und Reklamespots mit Weihnachtsmann- Konterfeis und dem bekannt debilen "Hou-hou-hou"-Gelache zu füllen. Ist die Bevölkerung eines Tages mürbe genug, weil sie diesem Unwesen nicht entfliehen kann, schluckt sie schließlich auch die einem kranken Hirn entsprungenen Geschichten von Geschenken in Socken und Rentieren, die auf dem Dach parken, während der Weihnachtsmann durch den Kamin (!!) in die Häuser kommt. Es ist zwar richtig, daß Geschenke in vom Weihnachtsmannsyndikat beherrschten Gebieten durch die Heizung kommen, aber man kann sich in der Regel nicht darauf verlassen, ob die Weihnachtsmänner im Fernwärmewerk auch wirklich in alle Röhren Geschenke stecken. 1992 zum Beispiel, als die Weihnachtsmann-Mafia gerade zum entscheidenden Schlag gegen die Christkindln ausgeholt hatte, geriet sie im Bereich Spittelau ausgerechnet in einen Hinterhalt der Osterhasen, und der Umstand, daß es zu diesen Weihnachten deswegen kaum Geschenke gab, erboste die Bevölkerung dermaßen, daß es zu verheerenden Straßenkämpfen kam. Erst nach Einflußnahme auf die Kronenzeitung und massiver Pro-Claus- Berichterstattung konnte Sam Claus die Lage wieder unter seine Kontrolle bringen.

Ihr Soviel ist ein Blatt, das, so sagen wir frei heraus - dem Clan des Christkindls anhängt. Diese Weihnachtsorganisation, die jetzt beinah völlig zerschlagen ist, hat über Jahrhunderte weg der österreichischen Bevölkerung gute Dienste erwiesen. Daher appellieren wir immer wieder an das österreichische Volk, solange wir es noch können: Glaubt ans Christkind, auch wenn es nicht die Meinung der verblendeten Masse sein sollte! Bildet Widerstandsnester, bewaffnet euch mit Sternspuckern und Lindor-Kugeln! Laßt euch nicht einnehmen von der Weihnachtsmannestümlerei, sonst wird Wien noch Chikago.
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